Dr. Marianne Heinz: Hildegard Jaekels phantastisches Kabinett

Hildegard Jaekels phantastisches Kabinett

Man mag sie spielerisch nennen, oder von Zufall geprägt – die vielgestaltigen Objekte von Hildegard Jaekel besitzen weder alle einen gemeinsamen Ursprung, noch einen gemeinsamen Grundgedanken, sondern jedes einzelne Objekt erzählt seine ureigenste Geschichte. Und zusammengenommen bilden sie ein vielstimmiges Orchesterstück, in dem sich jedes Instrument zu behaupten weiß, wobei manchmal klangvolle Harmonie vorherrscht, hin und wieder aber auch lustvoll schrille Dissonanz.

Meist handelt es sich bei den Objekten um Fundstücke oder Fragmente, gelegentlich auch um ready-mades, um Gegenstände aus den unterschiedlichsten Materialien, die sich mit anderen Dingen paaren oder eben nicht paaren, sondern sich vielmehr jeder Logik bewusst widersetzen und auf Konfrontation aus sind.

In der Fülle der meist kleinformatigen, auf schlichtem Podest präsentierten Objekte sind zwei Grundhaltungen erkennbar. Entweder lebt das Objekt aus der häufig verblüffend komischen, schrägen Materialzusammenstellung, aus der sich dann fast wie von selbst ein Titel zusammenbraut. Bei anderen Objekten ist der Titel gleichsam als Motto vorgegeben. Dabei schöpft Hildegard Jaekel aus ihren umfangreichen literarischen Vorlieben und ebenso aus ihren ikonographischen Kenntnissen. Entsprechend eingestimmt, treffen Gedanken, Stimmungen, Sinn, Spaß und Materialvielfalt auf geheimnisvolle Weise aufeinander.

Auf zwei Objekte sei hier stellvertretend näher eingegangen: „Freiheit“ und „Susanna im Bade“.

Der Titel „Freiheit“ gehört zu einem kleinformatigen, querrechteckigen „Zwillings“ – Vogelkäfig, bekrönt von zwei jeweils gleich großen luftigen Kuppeln. Die Verdoppelung ist schon merkwürdig genug. Doch offenbar bot sich das seltsame Mobiliar zu einem zynisch – schmunzelnden Kommentar an. So stopfte Hildegard Jaekel das ganze Ding einfach mit Holzwolle voll. Der Platz im Käfig ist besetzt, seine eigentliche Funktion ist hinfällig, eigentlich hat er ausgedient, denn die ursprünglichen Bewohner, die Gefangenen, sind inzwischen entflohen und längst in Freiheit. Zurück bleibt dekorativ wirkungsvolles Leergut und sicher auch die Genugtuung der guten Tat. 

Das Objekt „Susanna im Bade“ verzichtet auf das Personal, das eigentlich zu dieser Geschichte gehört. Ebenso ist von der bekannten so ausgeprägten schlüpfrigen Lüsternheit der beiden Alten, die laut Bibel dem Mädchen auflauern und es belauschen, nichts zu spüren. Keine Anekdote, kein nackter weiblicher Körper bei der morgendlichen Toilette, sondern statt dessen ist ein übriggebliebenes Relikt aus der alten, inzwischen längst modernisierten Dusche Gegenstand dieses überaus lapidar gestalteten Objektes, dessen Witz und Ironie gerade im Gegensatz zwischen dem blumigen Titel und strenger Formensprache begründet liegt, wobei mir „Hommage an Alfred Hitchkock“ auch gefallen hätte.

Dr. Marianne Heinz

Staatliche Museen Kassel – Neue Galerie, 2002